Balthasar Streiff (BS), der künstlerische Leiter des BERLINER ALPHORNORCHESTERS, wird befragt von Herrn Dr. Hans-Ueli Rüdisüli (HR), Ethnologe mit Spezialgebiet vergleichende Naturhornklänge aus Bätterkinden (Schweiz).
HR: Berlin und ein Alphornorchester. Passt das?
BS: Ja klar. Wenn, dann Berlin.
HR: Wie kommen Sie auf diese Idee?
Gibt es in Berlin so viele Schweiz-Begeisterte?
BS: Das Alphorn hat genau betrachtet nicht viel mehr mit der Schweiz zu tun wie Käse oder Schokolade.
HR: Aber: Wer hat’s erfunden?
Das Alphorn kommt doch aus der Schweiz?
BS: Naja, es heißt ja nicht ‚Schweizerhorn‘, sondern ‚Alphorn‘.
Und die Alpen erstrecken sich bekanntlich vom Mittelmeer bis nach Slowenien. Solche Hörner gibt es im ganzen Alpenraum. Hirten haben überall auf der Welt zur Kommunikation oder vielleicht auch aus Langeweile Musikinstrumente aus Tierhörnern oder Baumstämmen gebaut.
Die Musik hatte dabei vielerlei Bedeutung.
HR: Aber das Alphorn wird als Schweizer Nationalinstrument bezeichnet?
BS: Das kommt aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Ende 19. Jahrhundert, als der Größenwahn der europäischen Nationalstaaten in vollem Gang war, suchte man in der kleinen, jungen föderalistischen Eidgenossenschaft identitätsstiftende Elemente. So wurden Jodellied, Ländlermusik, Trachtengruppen oder eben das Alphorn zum Volksgut erklärt und systematisch gefördert.
Das heutige Alphornspiel existiert als nationales Kulturgut noch keine 100 Jahre. Es hat dadurch immer einen Beigeschmack von Ricola, Fondue und Tourismusförderung.
HR: Zurück zur ersten Frage.
Warum braucht gerade Berlin ein Alphornorchester?
BS: Ich glaube, es ist vor allem die Faszination des Klanges, was viele Leute anzieht.
Mit einem Naturtoninstrument ist der Spieler ziemlich eingeschränkt. Man kann längst nicht alle Melodien spielen und man muss etwas verrückt sein nach diesem Klang.
In Berlin gibt es eine ganze Menge verrückter Leute.
Außerdem gibt es in Berlin fast alles.
Aber ein Alphornorchester hat noch gefehlt.
Das gibt es in der Art ja nicht einmal in der Schweiz!
HR: Aber die Alpen sind doch ein ganzes Stück entfernt.
BS: Einerseits kommen da vielleicht gewisse Sehnsüchte und Urlaubserinnerungen zum Ausdruck. Andererseits habe ich tatsächlich eine Kopie eines alten Kupferstichs aus Potsdam gefunden, darauf ist ein Schäfer mit Schafherde zu sehen, neben diesem liegt ein Instrument, das exakt einem heutigen Alphorn entspricht. Im Hintergrund ist eine große Stadt. Der Titel des Bildes lautet: „Berlin um’s Jahr 1780“!
Das bestätigt doch auch, dass die Vorfahren des heutigen Alphorns aus der ganzen Welt kommen. Wie die Vorfahren der Schweizer übrigens auch! (lacht).
HR: Wer sind dann die Mitglieder des Berliner Alphornorchesters?
Sind das alles stämmige, bärtige Heimwehschweizer?
BS: Nein, keinesfalls. Einige davon sind Schweizerinnen, die andern sind deutscher, englischer und amerikanischer Herkunft. Und die Häuserschluchten sind wie Bergwände: das Alphorn klingt wunderbar in urbaner Umgebung. Die Berliner und Berlinerinnen haben’s eben mit erfunden!
oben: Stich aus „Alphorn und Hirtenhorn in Europa“ von Franz Schüssele
Gälfiässler Verlag 2000 – ISBN 3-927781-22-3 (mit CD)